Ich weiß gar nicht genau, wie ich einsteigen soll in die Beschreibung der heutigen Tour.
Oder welche Bilder ich zeigen soll.
Wie ich meine Eindrücke vermitteln kann.
Diese Tour heute war auf jeden Fall gewaltig. Gewaltig, weil das Ausmaß so riesig war - die reinen Höhenmeter der Tour, also vom niedrigsten Punkt bis zum höchsten Punkt, war ja meine diesbezügliche Planungsvorgabe, allerdings wurden es dann deutlich mehr durch die Zwischenab- und anstiege.
Gewaltig, weil die Umstände nicht ganz günstig waren: Ich stieg von der Nordseite auf, es hatte zuvor tagelang geregnet, und es war wirklich alles mindestens feucht, meistens klitschnass. Es war glatt, sowohl anfangs im Wald, später im Hochland - und schließlich im Felsen beim Klettern. Und Felsen lösten sich, die sich sonst nicht gelöst hätten. Anfangs auch viel Nässe im Abstieg, der über die Südseite erfolgte, allerdings brannte sich dort schnell die Sonne durch, und inmitten nicht enden wollender Abwärtskletterei und später dem Kampf bergab über ausgedehnte, rutschige Schotterfelder hatte ich das Gefühl, sie wolle mich gleich mit verbrennen.
Gewaltig, weil ich dort oben, wo nur Schnee und Fels und Höhe sind, ganz alleine war. Mich hatte der Nebel verschluckt. Ich war ein einsamer Bergsteiger in einer entrückten Welt. Niemand wusste von mir. Ich und die Höhe und die Steilheit und diese Größe und Tiefe. Diese potenzielle Brutalität, diese Gleichgültigkeit der Umgebung. Die Konsequenz der falschen Entscheidung. Des Fehltrittes, im Wortsinn.
Und ich, ich begriff, ich wusste garnichts. Ich war nur ein Wagemutiger. Jemand, der es wissen wollte in seiner Unwissenheit.
Und würde der Berg es wollen, ich würde sterben, und ich stürbe einsam.
Aber umkehren kam für mich nicht in Frage, solange ich es nur anstrengend fand, aber machbar. Ich trat ein, ohne eingeladen worden zu sein, fühlte mich verschlungen, umschlungen. Ich war konzentriert, über viele Stunden. Und wenn ich ehrlich bin, meine Beine waren schon müde, als ich in diese Welt eintrat, dort ganz oben.
Dann kam ich an den Klettersteig, und es bauten sich ein paar hundert Meter nasser Fels über mir auf, die ich hochzuklettern beschlossen hatte. Aber wenn man davor steht, das Klettergeschirr angelegt, den Helm auf dem Kopf, schwitzend und frierend gleichzeitig, und man muss den Kopf weit in den Nacken legen, um die Strecke zu begreifen, die sich gerade Millionen Tonnen schwer über einem aufbaut, dann begreift man: Das wird Stunden dauern. Du bist besser vorsichtig. Und schone dich gleichzeitig, so gut du kannst.
Sei besonnen.
Sei ehrlich.
Ehrlichkeit ist wichtig in dieser Umgebung. Du hast nur dich, und du hast deine Fähigkeiten, die im Kopf und die in den Beinen. Sei ehrlich.
Aber ehrlich sein bedeutet auch, dass du tausend Meter nach unten guckst, während du in der Wand hängst, und begreifst: Ich schaffe es nicht, die eben erzielte Strecke wieder runterzuklettern.
Diesen Klettersteig gehst du nur in eine Richtung, und es gibt keinen Notausstieg.
Zum Glück kam ich nie wirklich in die Situation, überfordert zu sein. Ich ging an die Grenzen, ja. Nicht nur an die meiner Kraft. Oder meiner Kondition. Ich fühle mich beim Bergaufwandern eh immer wie ein Asthmakranker, und deswegen ist klettern für mich bei weitem konditionell anspruchsloser als der Zustieg zur Klettestrecke.
Aber irgendwann merkte ich meine Beine. Und ich merkte meinen Kopf, ich entrückte irgendwie, und das ist nichts Schlechtes. Ich tauchte in mir und dem Berg und den tausend Greifmöglichkeiten, Drehungen, Tritten ein, ich tauchte ein in das Fühlen, ob ein Stein mich hält oder der Feuchtigkeit nachgibt. Das Kaisergebirge ist tückisch, der Stein schwach, bröselig, und du hast und erzeugst Steinschlag. Aber das wurde zur Normalität.
Ich versank im Aufstieg, und manchmal zweifelte ich kurz, wenn es keine Sicherung gab und es trotzdem sehr steil und ungewiss wirkte auf mich, aber dann ordnete ich mich den Umständen unter und akzeptierte, nahm an und wurde in dieser Zeit irgendetwas anderes als ich sonst bin.
Als ich auf dem Sattel war, wo ich mich rechts zu meinem Gipfel umwandte, wich meine Müdigkeit. Fast da!
Wo ursprünglich der Weg war, war nur Schnee vom letzten Winter. Als ich dachte, gehst du da rüber und vorsichtig draufstieg - stürzte ich ein.
Ich kämpfte mich raus, und ich fand einen anderen Übergang, dort waren Spuren, in die trat ich. Später, auf dem Rückweg, mied ich den Schnee. Einmal ungewisses Glück reicht.
Mit der Hand immer wieder am Fels, kraxelte ich hoch. Und ganz oben, in den Wolken immer noch, war niemand, nur das Gipfelkreuz, Wind, und ich. Die Welt war riesig und winzig gleichzeitig.
Ich sah mich trotzdem satt. Ich war zufrieden, bewegt. Ich war ein Gipfelstürmer, ganz alleine, nur ich. Das Geld hatte ich mühsam verdient. Das mühselige Training alleine geplant und diszipliniert absolviert. Monate lang. Ich war mit dem Auto 12 Stunden gefahren. Dann mit dem Auto fast rückwärts runter gerutscht. Und jetzt war ich da hochgestiegen, auf über 2.000 Meter.
Ich habe gesiegt.
Nachdem ich ausgiebig gefrühstückt hatte, stieg ich ab. Diesmal umständlich um den Schnee herum, und danach: runter!
Und gottverdammt, das war schwer, und meine Beine müde, und es hörte nicht auf.
Das war eine Gratübersteigung, ich ging südlich runter. Ging? Kletterte. Ungesichert, das zog sich lange. Sehr lange. Die Sonne kam raus, es wurde warm. Dann erreichte ich die Schotterwüste, und es wurde heiß.
Das war für mich extrem strapazös. Es endete nicht, und wieder verlor ich mich im Hier und Jetzt und kämpfte mich runter, ich stolperte manchmal, und ich rutschte oft, weil es steil war und man einfach keinen Halt findet. Wieso hatte ich keine Stöcke bei? Weil ich ein dummer Mensch bin manchmal. Deswegen hatte ich auch keinen Sonnenschutz auf dem Kopf.
Und wieder akzeptierte ich. Es war gut und richtig, fand ich, denn ich war ein Bergsteiger, und ich streichelte über das Antlitz dieses Berges, winzig wie ich war.
Später wich der Schotter den Latschenansammlungen. Felsen und Wurzeln und müde Beine. Bergab, immer bergab.
Dann kamen die Lärchen und Zirbeln. Wurzeln, Felsen und rutschiger Schlamm.
Dann kamen zwei Kilometer steiniger, schlängeliger, rutschiger, steiler Weg. Mein Kopf pulsierte, die Sonne brannte.
Ich war nicht mehr gut auf den Beinen, aber es musste trotzdem geschafft werden.
Zehn Stunden war ich unterwegs.
Ich habe ihn bezwungen, diesen Berg, und ich habe auch mich bezwungen.
Und jetzt trinke ich mein Bier aus, wechsle das Restaurant und schaue dann mal die Bilder durch. Hoffentlich sind ein paar was geworden.