Ich bin vor Kurzem zum ersten Mal auf das Stereotyp-Inhalts-Modell von Susan Fiske gestoßen und fand es interessant, deshalb dachte ich mir, ich teile das hier mal.
Bei diesem Modell geht es darum, dass wir sowohl Individuen als auch Gruppen anhand zweier Kriterien instinktiv in eine Bewertungs-Matrix einordnen, die bestimmt, welche Gefühle wir diesen Menschen gegenüber haben.
Das erste Kriterium nennt Fisk "Wärme". Es beschreibt, ob uns eine Person sympathisch oder unsympathisch ist, ob wir sie als potenziell hilfreich und unterstützend empfinden, ob sie uns wohlwollend gegenübersteht, ob sie Freund oder Feind ist.
Das zweite Kriterium nennt Fisk "Kompetenz". Dabei wird bewertet, wie effektiv das Individuum seine Ziele verfolgen kann, wie viel Macht es besitzt, welche Handlungsgewalt und Fähigkeiten und welchen Status es hat.
Anhand dieser beiden Einschätzungen entsteht dann die Position in der Matrix, bei der jeder Quadrant andere Gefühle verursacht.
Es gibt da einmal den Quadranten "Hohe Wärme / Hohe Kompetenz". Das sind Menschen, mit denen wir uns identifizieren, die wir vielleicht sogar bewundern. Freunde und Familienmitglieder, die wir respektieren und deren Werte wir teilen, Menschen, die wir als uns ähnlich empfinden. Unsere "In-group" quasi.
Dann gibt es den zweiten Quadranten "Hohe Wärme / Niedrige Kompetenz". In diesen Quadranten fallen Menschen und Menschengruppen, die uns zwar sympathisch sind, bei denen wir aber keine hohe Handlungs- und Entscheidungskompetenz vermuten und die wir als unterlegen und hilfebedürftig wahrnehmen.
Alte Menschen gehören dazu, Kinder, geistig oder körperlich eingeschränkte Personen zum Beispiel. (Oder früher, als die Geschlechter noch nicht gleichberechtigt waren: Frauen.)
Auf dieser Basis entwickelt sich latentes Mitleid, eine wohlwollende, aber eben auch leicht herablassende Hilfsbereitschaft.
Der dritte Quadrant "Niedrige Wärme / Hohe Kompetenz" beschreibt Personengruppen, die wir als Konkurrenz oder unterschwellig sogar als Bedrohung wahrnehmen. Nebenbuhler, Streber, Gruppen, denen wir gerne angehören würden, die uns aber nicht lassen, kompetente Arbeitskollegen in einem wettbewerbsorientierten, hierarchischen Umfeld, aber auch ganze Bevölkerungsschichten und Ethnizitäten können darunter fallen. Die gesellschaftliche Mittelschicht ordnet die Oberschicht normalerweise in diesen Quadranten ein. Amerikanische Minderheiten betrachten so die weiße Bevölkerung. Erfolgreiche Politische Parteien, deren Agenda wir ablehnen, können auch darunter fallen.
Der vierte Quadrant "Niedrige Wärme / Niedrige Kompetenz" beschreibt Personen, die nichts auf die Reihe bekommen und denen wir auch nicht positiv gegenüberstehen.
Drogenjunkies fallen beispielsweise oft darunter, selbstverschuldete Obdachlose, faule Sozialhilfeempfänger, Suchtkranke, Kriminelle, Vergewaltiger, Pädophile, Frauenschläger. Verschiedene psychische Erkrankungen können diese Einordnung auch auslösen. Aber auch ganze Bevölkerungsgruppen können betroffen sein, zum Beispiel Ausländer, Angehörige einer bestimmten Religion oder einer bestimmten politischen Richtung.
Das dominierende Gefühl ist in diesem Fall Ekel.
(Es gibt Studien, die belegen, dass bei der Betrachtung von entsprechenden Fotos solcher Menschen die Amygdala und der Insellappen aktiviert werden, während die Gesichtserkennung und der emotionale Teil des präfrontalen Kortex nicht angesteuert werden. Dieses Aktivitätsprofil wird normalerweise ausgelöst, wenn wir abstoßende Objekte betrachten.
Dieser Effekt wird auch für Propaganda genutzt, wenn Menschengruppen mit Insekten, Nagetieren oder Krebsgeschwüren verglichen werden.)
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, was passiert, wenn ein Mensch von einem Quadranten in den anderen wandert.
Zum Beispiel von "Hohe Wärme / Hohe Kompetenz" zu "Hohe Wärme / Niedrige Kompetenz": Ein Elternteil, zu dem wir aufgeblickt haben, erkrankt an Demenz. Ein Ehepartner, der die Versorgerrolle innehatte, erleidet ein massives Burnout und bricht psychisch zusammen.
Oder "Hohe Wärme / Hohe Kompetenz" zu "Niedrige Wärme / Hohe Kompetenz": Wir finden heraus, dass ein Geschäftspartner, dem wir vertrauen, seit Jahren Geld unterschlägt. Ein guter Freund fällt uns in den Rücken. Ein Partner, den wir lieben, hat eine Affäre.
Wenn ein Mensch aus irgendeinem Grund unseren HW/HK-Quadranten verlässt, ist das schmerzhaft.
Umgekehrt sind Verschiebungen auch interessant.
"Niedrige Wärme / Niedrige Kompetenz" zu "Hohe Wärme / Niedrige Kompetenz": Ein Angehöriger einer von dir vorverurteilten Randgruppe bringt dir die Brieftasche zurück, die du verloren hast.
"Hohe Wärme / Niedrige Kompetenz" zu "Hohe Wärme / Hohe Kompetenz": Deine neue Arbeitskollegin wirkt zwar optisch wie eine Plastikbarbie, aber dann bemerkst du irgendwann, dass sie wirklich was auf dem Kasten hatten.
Oder auch "Niedrige Wärme, hohe Kompetenz" zu "Niedrige Wärme, niedrige Kompetenz": Ein Konkurrent blamiert sich. Ein streberhafter Kollege macht einen peinlichen Arbeitsfehler mit weitreichenden Folgen. Ein Feind erleidet eine Niederlage.
Die resultierenden Emotionen sind Häme und Schadenfreude.
Es gibt noch weitere Konstellationen und auch Zwischenstufen, aber ich will euch jetzt auch nicht vollquatschen damit. Ich finde das Modell als Denkansatz irgendwie ansprechend und dachte, ich erwähne es mal, falls sich jemand für die Psychologie von Stereotypen und Schubladen-Einordnungen interessiert.
Hier ist das Modell ausführlicher erklärt und es werden auch die entsprechenden Studien dazu beschrieben: