Naja, die Punkte, die mir merkwürdig vorkommen, hatte ich ja schon genannt:
In aller Regel sind die Reflexe des Menschen dazu ausgelegt, Schaden von sich abzuwenden. Und bei akuter physischer Bedrohung reagieren Menschen eben dementsprechend:
- Man schließt reflexhaft die Augen, wenn jemand einen Schlag gegen das Gesicht ausführt.
- Man schlägt instinktiv zu, wenn man von einem Insekt gestochen wird.
- Man zuckt unwillkürlich zurück, wenn man etwas Heißes berührt.
- Man bremst ohne nachzudenken, wenn einem ein Reh vors Auto läuft (und landet oft genug im Graben oder im Gegenverkehr, weil man den Impuls nicht unterdrücken kann, spontan den Lenker zur Seite zu reißen).
- Man duckt sich automatisch, wenn einem bei Sturm Gegenstände um die Ohren fliegen.
- Man flüchtet so schnell es geht aus dem Wasser, wenn man beim Baden ein Krokodil entdeckt.
All das ist darauf ausgelegt, Verletzungen zu vermeiden. Man kann dieses Verhalten nicht beeinflussen (bzw. muss sich sehr mühsam dazu zwingen oder bewusst antrainieren, anders zu reagieren). Insbesondere Schmerzen sind ein Signal dafür, dass dringend ein unbedingt zu vermeidender Schaden abgewendet werden muss. Darum halte ich es eben nicht für eine natürliche Schutzreaktion des Menschen, in solchen Momenten völlig apathisch in einen "Totstellreflex" zu verfallen.
Im Gegensatz dazu tritt eine Schockstarre meiner Meinung nach ein, wenn Menschen von einer sie völlig überfordernden Situation überwältigt werden, sich hilflos ausgeliefert fühlen und schlichtweg nicht mehr klar denken können. Aber in solchen Momenten nimmt man dann auch tatsächlich gar nichts mehr normal wahr, glaube ich. Das Bewusstsein ist getrübt. Man spürt keine Schmerzen im üblichen Sinne, und kann sich hinterher nicht bzw. nur noch sehr fragmentarisch an die Ereignisse erinnern.
Und bei Vorliegen von Bedingungen, unter denen traumatisierende Ereignisse immer wieder vorkommen - bei Gefangenen z.B., die wiederholt gefoltert werden - werden solche dissoziativen Zustände sicherlich mit der Zeit auch Bestandteil des normalen Verhaltensrepertoirs. Weil eben keine Möglichkeit besteht, zu flüchten oder sich zu wehren, und das apathische Ertragen in einem weggetretenen Zustand daher die beste zur Verfügung stehende Option ist, die Misshandlungen zu überstehen. Dieses antrainierte Verhalten tritt dann ggf. ganz automatisch auch in ähnlichen Situationen ein, in denen Flucht oder Gegenwehr möglich wäre. Siehe: "erlernte Hilflosigkeit".
Aber es sind eben besondere Bedingungen und spezielle Vorerfahrungen, bei denen das zum Tragen kommt. Die sicherlich nicht so oft vorliegen. Dadurch lässt sich also die meiner Wahrnehmung nach fast ausschließlich bei Sexualdelikten und fast ausschließlich von Frauen sehr häufig berichtete Schockstarre nicht plausibel erklären, denke ich.