Was lese ich gerade? / Was habe ich vor zu lesen?

  • Die aus dem eindeutig selbstverschuldeten Narren etwas macht, das die Perspektive auf ihn ins Wanken bringt. Mir gefällt auf eine morbide Weise diese innere Dynamik des plötzlichen Bewertungskonfliktes

    Worauf genau basiert denn der Bewertungskonflikt?

    Doch im Grunde nur darauf, dass man denkt: "Ja, okay, die Strafe ist drakonisch, das ist nicht mehr gerecht, sondern total drüber."


    Das erweckt zwar Mitgefühl, das man vorher nicht unbedingt hatte, aber dieses Mitgefühl ist losgekoppelt von der Vorgeschichte. Man würde das bei jedem Protagonisten in dieser Situation so empfinden, so wie man es zum Beispiel auch ähnlich empfinden würde, wenn ein selbstzerstörerischer, unsympathischer Ehebrecher als Konsequenz verhaftet, gefoltert und gesteinigt werden würde und das die zweite Hälfte eines Romans ausmachen würde.


    Die Charakterentwicklung ist dann quasi nach der Hälfte des Textes abgeschlossen, denn danach kann der Protagonist nur noch passiv auf das drakonische Justizsystem reagieren und vor sich hin leiden. Da sind keine weiteren selbstwirksamen Entscheidungen mehr zu treffen, die noch in irgendeine Richtung führen können oder noch irgendwas zum Anfangsthema des Romans beitragen können.


    Und der einzige Effekt, der dann übrig bleibt, ist eben, dass man denkt: "Armes Schwein, das ist keine faire Strafe mehr." Aber das finde ich einfach ein bisschen dünn als Resolution für das Thema, um das es vorher ging.


  • Darüber habe ich noch etwas nachgedacht. Ich denke, der Konflikt benötigt ein Setting, in dem der Protagonist nicht vollständig seine Selbstwirksamkeit verliert. Da hast du schon recht, denn sonst ist außer vielleicht ein bisschen oberflächliches Mitleid nichts im Leser zu bewegen.


    Wenn es aber gelänge, ihn in ein Setting ähnlich dem von "Papillon" oder so zu platzieren, bliebe auch mehr Material. Deswegen sagte ich ja auch, dass mich das grundsätzlich reizt, nicht in der Fallada-Variante, sondern in einer anderen.

  • Man müsste eben schon ziemlich viel am Plot umkonstruieren, damit der Charakter des Protagonisten nicht einfach stagniert, sondern sich auf irgendeine Weise entwickelt, die im Anschluss an die erste Hälfte Sinn ergibt.


    Eine sehr klassische Umsetzung wäre es, den Protagonisten in der zweiten Hälfte während des Leidensprozesses und aufgrund der geänderten Umstände auf irgendwas stoßen zu lassen, das den zunehmenden und vielleicht sogar unterbewussten Willen erzeugen würde, sich langsam zu ändern und weiterzuentwickeln.


    Man könnte da mit zwei Motivationen arbeiten, dem egoistischen Wunsch, da rauszukommen, einerseits und andererseits mit irgendwas, das für einen Menschen einen höheren Wert haben kann. Zum Beispiel eine herangewachsene Freundschaft, die im Protagonisten mit der Zeit zunehmend Impulse wecken würden, die von seiner ich-zentrierten, fremdschädlichen Denkweise wegführen. Oder eine Liebe. (Wobei ich persönlich denke, dass Liebesgeschichten weniger geeignet sind, weil es dabei häufiger um rudimentäre Gefühle und weniger um intellektuelle Konzepte geht, beziehungsweise: Es mischt sich stärker und die Botschaft wird uneindeutiger, weil Liebe zu einer Person egoistisches Begehren sein kann, während eine Freundschaft diesbezüglich 'reiner' wirkt.)


    Am Ende der Geschichte könnte man dann eine Situation konstruieren, in der man den Protagonisten vor die Wahl zwischen diesem neuen Wert und der vorherigen Einstellung stellt. Zum Beispiel dadurch, dass man ihm bei einem geplanten Fluchtversuch am Ende die Chance auf Freiheit bieten würde, aber nur dann, wenn er die Freundschaft opfert und wieder egoistisch agiert.


    Und das mit der Freundschaft zu einem Menschen ist jetzt nur ein zusammengesponnenes Beispiel. Der Autor müsste irgendwas finden, das in seinen Augen eben ein Gegenpol für die ursprüngliche Grundeinstellung sein könnte. Irgendeinen Wert, der wichtiger sein könnte und einen Unterschied machen könnte.

    Und das kann trotzdem schlecht enden, wenn der Protagonist am Ende in die egoistische Impulsivität zurückfällt, aber da ist dann eben ein innerer Konflikt, der sich um das zentrale Thema dreht. Kein passives Leiden ohne Ziel, sondern ein weiterer innerer Prozess, der in zwei Richtungen laufen kann.

  • Man müsste eben schon ziemlich viel am Plot umkonstruieren, damit der Charakter des Protagonisten nicht einfach stagniert, sondern sich auf irgendeine Weise entwickelt, die im Anschluss an die erste Hälfte Sinn ergibt.


    Bei einem vorliegenden Werk? Natürlich.



    die im Anschluss an die erste Hälfte Sinn ergibt.


    (...) Der Autor müsste irgendwas finden, das in seinen Augen eben ein Gegenpol für die ursprüngliche Grundeinstellung sein könnte. Irgendeinen Wert, der wichtiger sein könnte und einen Unterschied machen könnte.

    Und das kann trotzdem schlecht enden, wenn der Protagonist am Ende in die egoistische Impulsivität zurückfällt, aber da ist dann eben ein innerer Konflikt, der sich um das zentrale Thema dreht. Kein passives Leiden ohne Ziel, sondern ein weiterer innerer Prozess, der in zwei Richtungen laufen kann.


    Ja, genau.

    Das ist ja auch das Faszinierende an Schilderungen von ehemaligen Kriegsgefangenen oder KZ-Insassen aus dem Lagerleben - unterschiedliche Möglichkeiten der Entwicklung. Eigentlich hätte die Klinik Fallada gut dienen können, als unveränderlicher, aversiver Rahmen, ein guter Ort für eine Art "Kammerspiel der Optionen".

  • Die Erzählerin/Heldin der Story, mit der konnte ich sofort mitfühlen. Auch die anderen Charaktere waren hervorragend getroffen und beschrieben.

    Die ungewöhnliche Story, denn Kinder, die in Flammen ausbrechen (und wie DAS dann beschrieben wird...) sind eher nicht alltäglich...

    Dass es mit 300+ Seiten eine überschaubare Länge hatte...

    Und natürlich das Ende!


  • Ich bin jetzt auf Seite 350, und mir gefällt das Buch recht gut. Die Charaktere sind gut, glaubwürdig und lebhaft gezeichnet, und über all dem schwebt wie eine Maschine, deren Aufgabe es ist, ganz langsam unter hohem Druck Menschen zu entsaften, der Ermittler der Gestapo, der Informationen aufsaugt, aber nichts zurück gibt.

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