Frag einen Philosophen

  • Stone

    Hat das Thema mit der Begründung „Auf Wunsch“ in den Papierkorb verschoben
  • Ich weiss, ich schulde euch noch Antworten. Die kommen auch noch - versprochen - es ist nur recht viel Arbeit und wenn ich mich so verpflichtet fühle, macht es mir oft nicht mehr so viel Spass. ^^ Muss den Moment abwarten, in dem ich wieder richtig Bock drauf haben werde. Habe aber schon seit ein paar Tagen wieder Lust drauf, also werde mich nächste Woche melden, denke ich. Entschuldigt bitte.


    Solange ein philosophischer Flachwitz:


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  • Ich warte geduldig auf die Beantwortung meiner Frage, bitte nicht löschen.


    Was sonst so vorgefallen ist - keine Ahnung. Ich habe keinen Bezug zu irgendwas anderen in Outlaws oder Stones Beiträgen gesehen, kann halt verstehen, dass man langsam ungeduldig wird.

  • Ich warte geduldig auf die Beantwortung meiner Frage, bitte nicht löschen.


    Was sonst so vorgefallen ist - keine Ahnung. Ich habe keinen Bezug zu irgendwas anderen in Outlaws oder Stones Beiträgen gesehen, kann halt verstehen, dass man langsam ungeduldig wird.

    Ich antworte dir noch, und die andere Frage (glaube, von Venice) beantworte ich ebenfalls noch.

    Einmal editiert, zuletzt von Scipio ()

  • Gibt es unter den Philosophen eigentlich einen "wissenschaftlichen" Konsens über gut und böse?


    So - bitte entschuldige, dass meine Antwort vier Monate lang auf sich warten liess, aber deine Frage ist tatsächlich aufwendig zu beantworten; es ist eine sehr, sehr umfassende Frage. Ich musste dazu ein bisschen was nachschlagen und muss etwas ausholen.


    Du schreibst:


    Zitat

    Ich meine jetzt nicht unbedingt, Tat a ist böse und Tat b ist gut - denn diese Frage kann ich mir leicht selber beantworten

    Tatsächlich ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten, wie man auf den ersten Gedanken hin meinen könnte. Man würde denken: Klar, Mord beispielsweise ist immer böse. Aber es gibt in der Philosophie s.g. Dilemmata, auch in der Ethik, die ganz klar aufzeigen, dass diese Frage tatsächlich eine sehr schwierige Frage ist, und dass Annahmen wie "Mord ist immer böse" nicht ganz so eindeutig sind, wie sie im Alltag verhandelt werden.


    Stell dir mal folgende Situation vor:


    Du gehst in der Stadt entlang einer Strasse mit Tramgleisen spazieren. Du blickst auf und siehst, dass ein Tram, offenbar ausser Kontrolle geraten, die Gleise entlang rast. Nur wenige hundert Meter vor dir musst du erschrocken feststellen, dass fünf Gleisarbeiter gerade an den Tramgleisen beschäftigt sind. Das ausser Kontrolle geratene Tram rast geradewegs auf sie zu. Durch den Baulärm scheinen die Arbeiter dies aber nicht hören zu können. Du versuchst, sie durch Zurufen vor dem herannahenden Übel zu warnen, doch auch deine Rufe bleiben unerhört. Hinrennen würde viel zu lange dauern. In der Nähe befinden sich auch keine anderen Menschen, die helfen könnten.


    Gott sei Dank erblickst du schliesslich direkt vor dir einen Hebel, mit dem du eine Weiche umstellen und das Tram auf ein anderes Gleis umlenken könntest. So wären die Gleisarbeiter gerettet. Gerade wird der Hebel auch von keinem Mitarbeiter bewacht. Du müsstest also handeln. Du rennst zum Hebel, und gerade als du ihn drücken n möchtest, fällt dir plötzlich auf, dass auf dem Gleis, auf das die Weichenstellung das Tram umlenken würde, ein weiterer einzelner Gleisarbeiter seine Arbeit begonnen hat. Auch er ist durch dein Zurufen nicht zu erreichen - der Baulärm ist zu laut. Auch er ist zu weit weg, als dass er durch dein Zurufen erreicht werden könnte.


    Du hast jetzt die Wahl. Drückst du den Hebel, um das Tram umzulenken und um das Leben der fünf Gleisarbeiter zu retten, während der einzelne Gleisarbeiter sterben muss?

    Oder lässt du den Geschehnissen freien Lauf?

    Welche Vorgehensweise ist ethisch richtig und warum?


    Die meisten Menschen würden hier - nach den in unserer Gesellschaft stark vertretenen Grundsätzen des s.g. "Utilitarismus" (gut ist, was einer Mehrheit nützlich ist) - sagen, dass es ethisch durchaus gerechtfertigt ist, ein einzelnes Leben gegen fünf Leben aufzuwiegen. Sie würden die Weiche stellen.


    Es gibt aber eine Abwandlung von dem Gedankenexperiment, bei dem die Geschichte dann nicht mehr ganz so eindeutig ist.


    Stell dir vor, du gehst über eine Brücke, die (abermals) über Tramgleise führt. In der Ferne siehst du fünf Gleisarbeiter emsig an einem der Gleise arbeiten. Plötzlich fällt dir auf, dass - wie sollte es auch anders sein :D - ebenfalls ein ausser Kontrolle geratenes Tram auf die fünf Gleisarbeiter zurast. Du kannst sie nicht durch Rufen warnen. Da du auf der Brücke stehst, würde es auch (erneut) viel zu lange dauern, bis du sie zu Fuss erreichst. Es sind keine anderen Menschen in der Nähe.


    Du blickst dich um und suchst nach einem Hebel, um wieder eine Weiche stellen zu können. Dieses Mal gibt es aber keinen solchen Hebel in deiner Nähe. Da fällt dir ein paar Schritte weiter weg ein sehr dicker Mann auf, der sich weit über das Brückengeländer beugt und nach unten auf die Gleise blickt. Wenn du den unbeteiligten, dicken Mann die Brücke herabstossen würdest - so wie er sich gerade vornüber beugt, ist das durchaus möglich - würde der starke Aufprall des Trams dieses so stark ausbremsen, dass es knapp vor den fünf Gleisarbeitern zu stehen käme und deren Leben gerettet wären. Der dicke Mann würde dabei aber sterben.


    Stösst du den Mann hinunter, um das Leben der fünf Gleisarbeiter zu retten?

    Lässt du den Geschehnissen seinen Lauf?

    Welche Vorgehensweise ist ethisch richtig und warum?


    Hier sieht die Entscheidung der meisten Menschen schon sehr anders aus: viele haben grosse Hemmungen, sich dafür zu entscheiden, den Mann aktiv in den Tod zu stossen, obwohl die Konstellation die Gleiche ist: utiliaristisch betrachtet, würden die fünf Leben ethisch ein einziges Leben nach wie vor aufwiegen. Was anders ist, ist jedoch die Tatsache, dass jetzt nicht nur eine indirekte Weichenstellung, bei dem jemand ungewollt zu Tode kommt, erfolgen müsste. Sondern es wäre ein aktives Eingreifen und ein aktives Töten vonnöten, um die fünf Leben im Austausch gegen das eine Leben zu schützen. Der dicke Mann und sein Leben würden aktiv dazu benutzt werden, um die fünf Leben der Gleisarbeiter zu schützen. Du würdest keine Gefahr umlenken, du würdest jemand anderen quasi explizit in Lebensgefahr bringen. Willentlich.


    Diese ethischen Dilemmata können unterschiedlich aufgelöst werden (je nach ethischer Position) und werden in der Philosophie als s.g. "Trolley-Problem" bezeichnet. Die erste Fassung mit der Weichenstellung stammt von Philippa Foot, die zweite Fassung stammt von Judith Thomson. Es gibt noch andere Fassungen, die andere Aspekte gewichten und zu unterschiedlichen Antworten führen können. Der Kern der Problematik ist meistens aber derselbe.


    Was als konstruierte Situation erscheinen mag, trifft man in der Realität tatsächlich an - wenn bspw. Flugzeuge entführt werden und drohen, mit der Landung direkt in Gebäuden (wie beim WTC 2001) noch mehr Menschenleben zu opfern: ist es dann gerechtfertigt, das Flugzeug abzuschiessen und die Insassen zu töten (z.B.), um noch mehr Menschenleben retten zu können?


    ----


    Es gibt dann noch ein weiteres Gedankenexperiment, bei dem deutlich wird, dass die Grenze zwischen "gut" und "böse" schneller verwischt, als man meinen möchte. Ich glaube, es ist von Peter Singer:


    Stell dir vor, du befindest dich als Angehöriger einer verfolgten Minderheit mitten in einem Krieg. Während die Soldaten also in deine Strasse einfallen und die Gebäude nach dir und anderen Angehörigen dieser Minderheit durchsuchen, konntest du dich mit einigen Nachbarn im Speisekeller unter einer Falltür verstecken, die mit einem Teppich verdeckt ist. Neben dir sitzt die Nachbarin, die erst vor zwei Wochen entbunden hat. Das Baby ist also noch sehr klein, und ihr sitzt schon seit vielen Stunden dort im Keller fest.


    Da hörst du, dass offenbar Soldaten in den Raum über euch hineingehen. Sie durchsuchen das Haus. Ihr seid mucksmäuschenstill. Keiner bewegt sich, um ja keinen Laut von sich zu geben. Gerade stehen die Soldaten direkt über euch. Die Schritte hören auf. Offenbar horchen sie, ob ein Geräusch zu vernehmen ist. Da merkst du, dass das Baby deiner Nachbarin unruhig wird. Im nächsten Moment ist dir anhand seines Gesichtsausdrucks klar, dass es gleich anfängt zu schreien.


    Wenn das Baby schreit und wenn die Soldaten euch daraufhin entdecken (und das würden sie), werdet ihr alle erschossen (inklusive dem Baby). Im nächsten Moment siehst du, wie die Mutter dem Kind Mund und Nase zuhält, um es zu Tode zu ersticken.


    Greifst du ein? Ist es ethisch vertretbar, die Mutter ihr Kind ersticken zu lassen, um die Leben aller Angehörigen deiner Minderheit im Keller zu retten?


    Dieses Experiment gibt es meines Wissens auch wieder abgewandelt insofern, als dass du selbst das Baby ersticken müsstest, um die Leben der anderen Menschen und um dein Leben zu retten.


    Du siehst: es ist also wirklich nicht so einfach mit den guten und den bösen Taten, wie man das im ersten Augenblick meinen mag.


    ____________________________

    Zitat

    (...) sondern viel mehr wie es dazu kommt, dass wir etwas als gut oder böse einschätzen, wie sich das entwickelt, warum wir es tun und wie wir vielleicht auch uns selber dabei besser einschätzen können, wenn wir es tun. Und sagt sowas mehr über denjenigen aus, der urteilt "Du bist gut / böse" oder mehr über denjenigen, dessen Handlungen bewertet werden?


    Das ist, würde ich meinen, eher eine sozialpsychologische, evolutionsbiologische und soziologische Frage als eine philosophische Frage. Ich versuche zunächst, sie aus ethischer (und damit philosophischer Sicht) zu beantworten. Die Grundfragen der philosophischen Ethik gehen auf diese Frage eigentlich gar nicht so richtig ein: Was soll ich tun? Warum ist diese Handlung richtig? Und was bedeuten unsere ethischen Begriffe genau?


    "Gut" stellt so ziemlich den fundamentalsten aller Wertbegriffe dar. In der Ethik schreibt man das Werturteil "gut" verschiedenen Handlungen, Handlungsweisen, Absichten, Dingen oder Sachverhalten gleichermassen zu. Das ist bemerkenswert, weil es andere Wertbegriffe gibt (bspw. "richtig" oder "geboten") bei denen da stärker differenziert wird.


    Den Begriff selbst kann man klassifikatorisch, komparativ oder metrisch verwenden. In der klassifikatorischen Verwendung wird etwas als gut, schlecht oder indifferent charaktersiert. "A ist schlecht" lässt sich also definieren als "nicht-A ist gut". "A ist indifferent" lässt sich definieren als "Es ist nicht der Fall, dass A gut ist, und es ist nicht der Fall, dass A schlecht ist". In der komparativen Verwendung von "gut" werden Vergleiche angestellt, indem etwas als besser, schlechter oder gleich gut bezeichnet wird wie etwas anderes. In der metrischen Verwendung wird die "Güte" von etwas quantitativ in Zahlen ausgedrückt.


    Man kann "gut" darüber hinaus in der im substantivistischen Sinne gebrauchen: "Für Surrender ist Gesundheite ein hohes Gut". Man kann "gut" auch im adverbialen Sinn gebrauchen - d.h. eine Tätigkeit ist "gut", z.b. "Surrender kann gut programmieren". Man kann "gut" darüber hinaus auch adjektivistisch gebrauchen, z.B. "Surrender ist ein guter Mensch".


    Inhaltlich wird "gut" als Gebrauchswert verwendet ("Autos sind ein gutes Fortbewegungsmittel"), als instrumenteller Wert ("Joggen ist gut für die Gesundheit"), als intrinsischer Wert ("Sport tut mir gut"), als Wert in einem Bestandtteilsinn ("Sich mit Ethik zu beschäftigen, gehört zu einem guten Leben dazu und ist folglich gut") sowie als ein Endwert ("Diese schmerzhafte Operation dient meiner Gesundheit"). Natürlich überschneiden sich diese inhaltlichen Verwendungen zum Teil. Sie sind nicht praktisch ausschliessend, sondern rein analytisch differenziert.


    Man kann "gut" also in vielerlei Hinsicht unterschiedlich verwenden. Nicht in jeder Ethik spielt "gut" als Wertbegriff aber eine Rolle.


    Es werden klassisch zwei Haupttypen in der akademischen Ethik unterschieden: Deontologische Ethiken (die sich am ethischen Sollen orientieren) und teleologische Ethiken (die sich am ethisch Guten orientieren).


    Deontologische Ethik besagt, dass wir uns bei unseren ethischen Bewertungen auf das Gesollte im Sinne einer ethisch richtigen Handlung beziehen sollen. Konkrete Handlungen sind dabei Körperbewegungen, die vom Handelnden als Realisierung seiner Absichten initiiert werden. Das kommt ganz stark auf den Kontext an: Eine Armbewegung kann ein Winken sein, z.B. um den Kellner zu rufen, um Luft zu bewegen oder auch, in manchen Kulturen, um zu beleidigen (Wischgeste vor dem Gesicht). Damit eine Körperbewegung als Handeln charakterisiert werden kann, muss es mindestens eine Beschreibung geben, unter der de rHandelnde selbst sein Tun beabsichtigt (er möchte eben den Kellner rufen). Zugleich kann die Handlung natürlich aber auch immer alternative charakterisiert werden. So kann z.B. eine Lüge auch als Trost beabsichtigt geäussert worden sein, aber zugleich selbstverständlich trotzdem eine Lüge sein. Hat sich der Sprecher der Lüge aber nur geirrt und wusste nichts um die Lügenhaftigkeit seiner Lüge, stellt die Lüge keine Lüge dar, weil die Absicht fehlte, eine falsche Information als Wahr auszugeben. Manche dieser mit einer Körperbewegung initiierten Handlungstypen sind vom Handelnden beabsichtigt, andere wiederum nicht, weil er gar nicht darum weiss.


    Für die ethische Bewertung ist die Intention einer konokreten Handlung wichtig. Es geht quasi fast ausschliesslich um gewollte bzw. willentlich in Kauf genommene Handlungstypen. Ausnahmen bilden nur besondere Situationen von Fahrlässigkeit. Die Grundidee der deontologischen Ethik besagt also, dass wir eine konkrete Handlung ethisch bewerten, indem wir sie auf ausgezeichnete beabsichtigte Handlungstypen beziehen. Die Handlungstypen sind dadurch ausgezeichnet, dass sie intrinsisch ethisch geboten oder ethisch verboten sind. "Intrinsisch" bedeutet hier, dass die ethische Qualität dem fraglichen Handlungstyp ungeachtet der Konsequenzen zukommt, die durch die Ausführung einer solcher verbotenen Handlung entstehen (z.B. Lüge als Trost ist und bleibt eine Lüge). Es gibt damit in der deontologischen Ethik quasi unbeschränkte Verbote und Vorschriften, dass Handlungen bestimmter Arten unter allen Bedingungen zu unterlassen sind. Die Grundform der Ethik sind damit Sollensforderungen ("Du sollst nicht lügen" bzw. "Du sollst nicht töten") in Form von Ge- und Verboten. Die Folgen spielen keine Rolle.


    Wie kommen wir jetzt also dazu, Handlungen aus Sicht einer deontologischen Ethik als richtig oder falsch bewerten zu können? Man kann annehmen, dass wir die Falschheit oder Richtigkeit von Handlungstypen direkt erkennen können. Oder man versucht, ein Testkriterium zu entwickeln, mit dem wir uns richtig entscheiden können. Kant hat z.B. einen Verallgemeinerungstest vorgeschlagen, der als negatives Ausschlusskriterium fungiert. Er begründet seine Ethik über das Prinzip der Widerspruchsfreiheit als grundlegendes Rationalitätsprinzip (kategorischer Imperativ).


    Teleologische Ethiken besagen, dass wir uns bei unseren ethischen Bewertungen auf das Gute ausrichten sollen. Dieses Gute ist dabei durch die Folgen des Handelns zu maximieren. Und das wird dann als ethisch richtig angesehen. Eine sehr bekannte Form der teleologischen Ethik ist der Utilitarismus. Die meisten utilitaristischen Ethiken unterstellen einen weiten Begriff von Folgen, zu denen nicht nur die zeitlich nach der Handlung auftretenden Wirkungen, sondern auch gleichzeitig die damit einhergehenden Ereignisse und Umstände gehören. Indem alle von den Folgen einer Handlung Betroffenen im gleichen Masse berücksichtigt werden, können Universalität und Unparteilichkeit von ethischen Forderungen garantiert werden. Die Universalität und Unparteilichkeit der ethischen Foderungen müssen dadurch garantiert werden, dass alle von den Folgen einer Handlung Betroffenen im gleichen Masse zu berücksichtigen sind. Zum Beispiel dürfen soziale Bedingungen und zeitlich später eintretende Wirkungen gegenüber Naheffekten keinen Unterschied machen.


    Utilitaristische Theorien können in handlungsutilitaristische und regelutilitaristische Ansätze unterteilt werden. Ein handlungsutilitaristicsher Ansatz leitet die Bewertung der ethischen Qualität einer Handlung allein aus den Folgen der Handlung ab. Ein regelutilitaristischer Ansatz hingegen bezieht sich zusätzlich auf die Einhaltung und Verletzung von Normen/Regeln. Bei letzterem wird also ein zentrales Element der deontologischen Ethik integriert.


    Neben dieser Unterscheidung zwischen teleologischen und deontologischen Ethiken hast du bestimmt schon von der s.g. "Tugendethik" (ursprünglich von Aristoteles) gehört (wobei man eigentlich zu wirklich jeder philosophischen Frage immer im Ursprung irgendwas bei Aristoteles finden kann :D - ist so ein grosses DON'T beim philosophischen Schreiben, dass man seine Schriften nicht mit "Schon Aristotles hat..." einleitet, haha). Bei der Tugendethik geht es im Grunde darum, dass das Ziel ethischen Fragens und Nachdenkens darin besteht, einen ethisch guten, d.h. tugendhaften Charakter zu erwerben und damit ein gutes Leben führen zu können. Dieses gute Leben ist kein individuelles Projekt, sondern hat einen rein sozialen Charakter: der Mensch muss gemäss seinen spezifischen Anlagen und Fähigkeiten zufolge ein guter Bürger eines guten Gemeinwesens sein. Tugenden sind dann solche Verhaltensmuster oder Haltungen, die jemandem ermöglichen, dieses Ziel zu erreichen. Die Frage danach, wie man ethisch gut handeln soll, ist dann gleichzusetzen mit der Frage, welche Handlung Ausdruck eines guten Charakters ist oder einen guten Charakter hervorbringt. Als Kriterien für Charaktermerkmale, die zur Erlangung und Führung eines guten Lebens notwendig sind, werden dann die s.g. Tugenden herangezogen.


    Das tönt sehr individualisistisch (und modern - wir sehen ja einen ähnlichen Thread mit "Welche Charaktereigenschaften sind euch wichtig?", indem "wichtig" auch im Sinne von "gut" verwendet wird), ist es aber nicht. Die klassische Tugendethik umfasst zum einen ausschliesslich die genannte soziale Dimension. Zum anderen spricht die klassische Tugendethik weder vom guten LEben im Sinne einer individuell einzigartigen Biographie, noch vom Charakter als dem originellen Selbstentwurf autonomer Subjekte. Die Vorstellung eines guten Lebens beruht hingegehen auf einer allgemeinen, sozial geteilten Vorstellung des Guten. Und der Charakter ist eine allgemeine und komplexe Disposition zu tugendhaftem Verhalten. Die Vorstellung individueller Selbstverwirklichung und unverwechselbarer Originalität, weil man eben so handelt, wie man handelt, und damit total gut handelt, weil einem bestimmte Charakterwerte wichtig sind, die ein gutes Leben ermöglichen würden, haben damit nix zu tun.


    Letztlich beantwortet das jetzt aus philosophischer Sicht zum Teil deine Frage.


    Sozialpsychologische Antworten wären vielleicht in Sozialisationsbegriffen zu finden. Soziologisch würde man z.B. auf die gesellschaftliche Funktion ethischer Handlungen verweisen oder auf kritische Haltungen, wie eine gute Gesellschaft sein sollte, was beides je nach theoretischer Perspektive sehr unterschiedlich ausfallen kann. Evolutionsbiologisch würde man wahrscheinlich darauf verweisen, dass die Erhaltung der Art das oberste Ziel menschlicher Existenz darstellt (oder sowas, haha), dass der Mensch darauf ausgelegt ist, zum Überleben von Beginn an auf die Gruppe angewiesen zu sein und dass sich dies vielleicht auch genetisch zugrunde schlägt (ich weiss es nicht - habe da evolutionsbiologisch wirklich keine Ahnung, das sind nur Vermutungen).


    Ich hoffe, das hat deine Frage aus philosophischer Perspektive im Ansatz beantwortet. :)


    Eine gute Einführung in die Ethik ist übrigens diese hier: https://www.amazon.de/Einf%C3%…hik&qid=1589036511&sr=8-1


    Die habe auch ich teilweise verwendet, um diesen Text hier zu schreiben. :)

    2 Mal editiert, zuletzt von Scipio ()

  • Ist das privat auch so?

    Kannst Du Deinen Beruf ausblenden? Oder analysierst Du ständig und Jeden?


    Es ist nicht mein Beruf. :) Ich arbeite ja nicht als akademischer Philosoph.


    Und hm - nein, so ganz ausblenden kann man das nicht. Aber ich laufe jetzt auch nicht durch die Gegend und betrachte jedes Thema, das mir im Alltag über den Weg läuft, aus der Perspektive der akademischen Philosophie. Wie du bspw. an der Antwort auf Surrenders Frage siehst - bei so vielen Begriffsdifferenzierungen und Begriffsdifferenzierungsdifferenzierungen - ist das auch gar nicht so "fast forward", und man müsste ggf. das ein oder andere auch wieder nachlesen.


    Manchmal mache ich es in Diskussionen im Alltag oder im Internet so, dass ich anekdotisch bestimmte passende, theoretische Positionen aufgreife, ggf. nochmal nachschaue, wie genau die sich gestaltet haben und damit argumentiere. Das ist für andere Menschen aber oft sehr schwierig und sie können dem nicht folgen, weil philosophisches Denken (insbesondere analytisch) etwas ist, das man schon in gewisser Weise "lernen" muss, bevor man es anwenden kann. Entsprechend ist diese stark auf Begriffe und kohärente Argumente konzentrierte Art und zu denken oft etwas, das anderen Menschen in Diskussionen im Alltag fremd ist. Es kommt dann oft eben kein Gegenargument von den Menschen, sondern die Diskussion stagniert in "Ich finde das nicht so"-Dochargument-neinfindnichtso-Dochargument-Ping-Pong, gekrönt mit "Ich fühle aber XY". Das kann mich, da ich ja weiss, dass man ein Thema viel umfassender, differenzierter betrachten könnte (in der akademischen Philosophie oder auch in der Soziologie), schon frustrieren.


    Beim Studium akademischer Philosophie wird man insgesamt einfach darauf gestossen und im Denken trainiert, ähnlich auch in der Soziologie, dass alles, was einem zuvor als vernünftiges Weltbild, als selbstverständlich, klar und einfach erschien, so selbstverständlich, einfach und klar gar nicht ist und gar nicht sein kann. Es gibt bspw. eben ganz unterschiedliche Arten von Ethik, wie oben beschrieben in der Antwort auf Surrender, die nicht alle mit dem Streben nach irgendeiner Art von gutem Handeln charakterisiert sind. Es gibt auch ganz viele unterschiedliche Wahrheitsbegriffe. Was wahr ist und was nicht, und welchen Zugriff wir in welcher Form auf die Welt haben, um "wahre" Aussagen über diese Welt treffen zu können, ist gar nicht so einfach zu sagen, ohne dass man sich für theoretische Vorannahmen entscheiden muss, die dann wieder gewisse Nachteile und Konsequenzen nach sich ziehen (so haben bspw. auch die unterschiedlichen Ethiken ihre Nach- und Vorteile). Und bis heute gibt es in der Philosophie keinen allgemeingültigen Begriff von Wissen, weil Edmund Gettier mit seinem (ich glaube nur 3-seitigen) Aufsatz "Is justified true belief knowledge?" 1963 die bis dato in der Philosophie gültige Definition ausgeräumt hat - es wurde bis heute kein neuer, allgemeingültiger Begriff von Wissen gefunden, der dem s.g. "Gettier-Problem" standhalten hätte können; siehe hierzu: http://www.ditext.com/gettier/gettier.html


    Mir fällt es daher auch schwer, wenn in Gesprächen beispielsweise jemand von "Wahrheit" oder "Wissen" oder "gutem Handeln" spricht (und vielleicht sogar eine Definition von alledem anführt), nicht einzugreifen und zu sagen: hey, so einfach kann man das aber nicht formulieren, weil dieser Wahrheitsbegriff, dieser Wissensbegriff und dein Begriff vom guten Handeln X, Y und Z impliziert und dies den Begriff da und dort angreifbar macht, und deshalb kann diese Aussage in dem Fall so nicht funktionieren. Weil diese Art zu denken den Menschen ohne Studium akademischer Philosophie aber meistens fremd ist, kommst du damit nicht wirklich weit. Und letztlich stagniert die Diskussion und du bleibst frustriert zurück, wie oben beschrieben. So haben dann einfach viele Gespräche im Alltag für dich nicht mehr viel Sinn - nicht insofern, dass du sie arrogant total blöd finden würdest, sondern, dass du quasi nicht wirklich "mitreden" kannst, weil der besprochene Gegenstand des Gesprächs für dich einfach deutlich komplexer ist. Du empfindest dann keinen Spass an diesem Gespräch, das die anderen aber nicht selten als tiefgehend und spannend begreifen. Du halt aber nicht, weil du weisst, dass das so alles "viel zu einfach" gedacht ist. Und weil du dich nicht richtig einbringen kannst, weil es dann für Menschen, die keine akademische Philosophie studiert haben, fremd und unverständlich wird. Da ist man dann aussen vor, weil man eine Art zu denken gelernt hat, die in alltäglichen Gesprächen und Diskussionen über bestimmte Gegenstände nicht gut anwendbar ist.


    Aber, wie gesagt, ich betrachte jetzt auch nicht jedes Thema aus der Perspektive der akademischen Philosophie. In manchen Gesprächen bietet sich so etwas auch gar nicht an und/oder es passt schlichtweg einfach nicht.

    3 Mal editiert, zuletzt von Scipio ()

  • Interessieren dich in diesem Zusammenhang philosophische Probleme, die sich aus der modernen Genetik ergeben? Ich habe da gestern einen spannenden Artikel gefunden.

    Sehr sogar.


    Da du keine Antwort mehr wolltest, spare ich mir das mal. Macht ja, wenn es inhaltlich "zur Sache" geht, sehr viel Mühe, wie du am Beitrag mit der Antwort auf Surrenders Frage sehen kannst.


    Aber ich lade dir dafür trotzdem den Artikel hoch, den ich dazu gefunden und gelesen hatte. Vielleicht magst du ihn ja selber anschauen.

  • Ich würde diesen Thread dann hiermit schliessen, da ich nicht mehr im Forum aktiv sein werde.


    Danke für euer Interesse am Thema. Es hat mich wirklich gefreut.


    Die akademische Philosophie ist eine sehr breite, faszinierende Geisteswissenschaft, die - wenn man sich damit befasst - das eigene Weltbild stark erschüttern und ins Wanken bringen kann. Das kann gleichzeitig verunsichern und Sicherheit geben. Was paradox erscheint, wird evident, wenn man sich vor Augen führt, wie viel Sicherheit in Unsicherheiten liegen kann: wenn man nicht sicher sagen kann, dass etwas (aufgrund der reinen Möglichkeit der Perspektivenvielfalt) so und nicht anders ist, relativieren sich bspw. viele alltägliche Konflikte und Belastungen.


    Wer sich selbst eingehender mit akademischer Philosophie befassen will, dem empfehle ich dieses gut lesbare Buch als Einführung:


    https://www.amazon.de/Die-Frag…hie&qid=1589039022&sr=8-1


    Und für die speziellen philosophischen Disziplinen sind wirklich die WBG-Einführungen gut lesbar und kompakt gestaltet (wie das oben Verlinkte zur Allg. Ethik).


    Ich wünsche euch alles Gute - und falls wir uns nicht mehr lesen: "Good Night, and Good Luck" :)

  • The Outlaw

    Hat das Thema geschlossen